Schändungen

Auch der jüdische Friedhof Oldenburg war im Laufe seines Bestehens Gegenstand von verschiedenen Schändungen.

Als Schändung wird die Zerstörung, Beschädigung, Beschmutzung oder Entweihung von Grabstätten bezeichnet (Benz 2010). Sie sind zumeist zielgerichtete Taten mit der Absicht einer Provokation, die nach außen wirken, und als Protest verstanden werden soll, die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten aus dem eigenen als auch aus dem Gedächtnis der Gesellschaft zu löschen oder zumindest zu beeinflussen. Würde es sich lediglich um Ausleben von Aggression oder Zerstörungswut handeln, wären nichtjüdische Friedhöfe wohl in ähnlich hoher Zahl betroffen (Neiss 2001).

Folgende Schändungen sind bisher bekanntgeworden:

1866 beantragte die jüdische Gemeinde die Genehmigung zur Errichtung einer Mauer um den Friedhof. Begründet wurde dies wie folgt:

Zwei Wege begrenzen denselben und bietet unser Friedhof durch seine Lage innerhalb des nicht immer harmlosen Verkehres durch seine jetzige mangelhafte Umzäunung, mit die trotz aller Wachsamkeit häufig muthwillige Zerstörungen erleidet, einen willkommenen Tummelplatz der muthwilligen Straßenjugend. Aber nicht allein dieses. Der Friedhof mußte auch anderen, sittenlosen, Zwecken dienen, und verstieg sich die Rohheit so weit die Ruhestätte der Todten durch Herausheben und Umwerfen der Leichensteine zu entweihen, ja selbst zur Beraubung der Gräber.

Aufgrund der Vielzahl von Schändungen jüdischer Friedhöfe im Deutschen Reich versuche im Jahr 1927 der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. eine zahlenmäßige Übersicht über die Schändungen zu erstellen. Das oldenburgische Ministerim des Innern berichtete damals dazu:

Dem hiesigen Landrabbinat sind Klagen über Schändungen jüdischer Friedhöfe bis jetzt nicht zu Ohren gekommen. Das Ministerium glaubt auch, daß Vorkommnisse der von Ihnen geschilderten Art sich hier nicht ereignen werden, und sieht daher von weiteren Maßnahmen einstweilen ab. Das Ministerium wird es an dem nötigen polizeilichen Schutz nicht fehlen lassen.

Offensichtlich wussten weder Landesrabbiner de Haas (seit 1920 im Amt), noch das Ministerium, dass es bereits im Januar 1924 zu einer Schändung des jüdischen Friedhofes in Cloppenburg gekommen war.

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Später, 1932, wurden bereits 125 Friedhofsschändungen für den Zeitraum von 1923 bis Juli 1932 dokumentiert. Hierin wird auch die Schändung in Cloppenburg verzeichnet. Oldenburg wird nicht erwähnt.

In der Nacht zum 28. Mai 1935 wurde auf dem jüdischen Friedhof in Osternburg laut Polizeibericht neun Grabsteine „umgeworfen“. Die lokale Presse berichtet von nur sechs Grabsteinen. Ein Grabstein wurde dabei gänzlich zerstört. Es soll sich dabei um den Grabstein eines Patenkindes des Großherzogs von Oldenburg gehandelt haben. Nach Ermittlungen des Gendarmeriestandorts Osternburg kamen als Täter Angehörige des SA-Hilfswerklager Blankenburg (Oldenburg) in Frage. Nach Aussage des Landesgemeinderates konnten die Täter nicht ermittelt werden. Es stand demnach fest, dass es sich um fünf SA-Werkdienstmänner handelte, die von Blankenburg nach Varel verlegt wurden. Aus der Mitte der ca. 300 Mann starken Gruppe konnten die Täter nicht ermittelt werden.

Zeitungsberichte zur Schändung im Jahr 1935
Zeitungsberichte zur Schändung im Jahr 1935

In einer Publikation aus dem Jahr 1978 wird eine Begebenheit dargestellt, von der eine ehemalige jüdische Schülerin der Cäcilienschule berichtete. Sie schrieb über den vorherrschenden Antisemitismus in Oldenburg und berichtet, dass „sogar über die Mauer des Osternburger jüdischen Friedhofs, der von den Anliegern als Ablagestelle für ihren Haushaltskehricht benutzt wurde.“ (Meyer 1979) Diese alltäglichen Schändungen fanden natürlich keinen Einzug in polizeiliche Berichte oder die lokale Presse.

Über die versuchte Brandstiftung der Trauerhalle im Jahre 1938 wurde hier bereits berichtet. Ob auch Schändungen von Grabstellen während dieser Zeit vorkamen, ist unbekannt, aber wahrscheinlich.

Vermutlich im Laufe des Jahres 1943 wurde auf dem Gelände des Friedhofs ein Rundbunker (Rundschutzbau) mit ca. sechs Meter Durchmesser erbaut. Das genaue Datum des Baues konnte nicht ermittelt werden; nach Aussagen des Bunker-Experten Holger Raddatz wurden solche Bunker jedoch nicht vor 1943 erbaut. Er befand sich links neben dem Eingangstor, direkt in der Nähe der Mauer zur Dedestraße. Auf einem Plan aus dem Jahre 1948 ist er entsprechend eingezeichnet. Der Bunker wurde erst im März 1960 wieder beseitigt.

Im Laufe des Zweiten Weltkrieges wurden Leichen vorwiegend sowjetischer und polnischer Kriegsgefangener und Zivilpersonen auf dem Friedhof auch durch lokale Bestattungsunternehmen „in dem Weg auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt“. Die Großzahl der Toten wurden jedoch durch sogenannte „Arbeitskommandos“ der Kriegsgefangenen selbst, unter Aufsicht der Wehrmacht bestattet. Für die Bestattung der Zwangsarbeiter waren die politischen Gemeinden zuständig. Leichen sollen zudem „aus dem Lager in der Drielaker Schule über die Mauer des jüdischen Friedhofs in Osternburg geworfen“ worden sein (Hoffmann 1999). Über die Anzahl der dort „bestatteten“ Kriegsgegangenen und Zwangsarbeiter herrschte nach dem Krieg große Diskrepanz. Die genannten Zahlen lagen damals zwischen 18 und 80 Personen.  Ein Gedenkstein am Massengrab wurde vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge im Jahr 1950 errichtet; er spricht nur von „54 russischen Kriegsopfern“. Zunächst waren tatsächlich nur 54 Personendaten ermittelbar; erst 2014 konnte diese Zahl auf nachweislich 56 Personen detailliert werden. Nach einem Gestaltungswettbewerb der Stadt Oldenburg gewann der Künstler Amir Omerovic mit seinem Entwurf die Ausschreibung für die Neugestaltung des Gräberfeldes. Die Einweihung der neuen Anlage soll im Juni 2021 erfolgen.

Gedenkstein für 54 russische Kriegsopfer
Gedenkstein von 1950 mit der Aufschrift „HIER RUHEN / 54 / RUSSISCHE / KRIEGSOPFER“

1945 wurde der Friedhof auf Veranlassung der Militärregierung wieder in einen ordnungsmässen Zustand gebracht. Eine daran beteiligte Gartenbaufirma, die den Friedhof auch bis 1937 betreute, begründet den hohen Arbeitseinsatz von 481 Stunden für Meister, Gehilfen und Arbeiter, wie folgt:

Durch die Zerstörung des Friedhofs sind nicht nur die Grabsteine umgeworfen, sondern auch verschleppt. Eine Neuaufstellung war ohne Weiteres nicht möglich. Ich habe mich der Mühe unterziehen müssen, anhand der noch in meinem Besitz befindlichen Büchern und Lagerplan [sic!] des Friedhofs die einzelnen Grabstellen ausfindig zu machen und dem Steinsetzer hiernach Anweisungen zum Setzen zu geben.

1945, 1946 und 1947 sollen nach Aussage der Jewish Relief Unit jeweils Schändungen stattgefunden haben. Genaue Angaben hierüber sind bisher nicht bekanntgeworden.

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Bundesweit sind von 1945 bis zum Jahr 2002 insgesamt 2.027 Schändungen belegbar, im Zeitraum von 2001 bis 2013 wurden insgesamt 587 Straftaten mit dem „Angriffsziel“ Friedhof erfasst (Deutscher Bundestag); dies bedeutet, dass wöchentlich ein jüdischer Friedhof Gegenstand von Schändungen wird! Die Aufklärungsquote liegt nach Aussagen der Wissenschaftlerin Marion Neiss vom Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin bei 10 bis 15 Prozent (Neiss 2007). Das ZfA arbeitet diesbezüglich an einer vollständigen und gesicherten Dokumentation zu Schändungen jüdischer Friedhöfe seit 1945.

Im Mai 1990 wurde der jüdische Friedhof in Oldenburg zwei Mal geschändet. Über die erste Schändung am 1. Mai 1990 ist nur wenig bekannt geworden. Die zweite Schändung nur kurz danach hat Eingang in eine Zeitungsmeldung gefunden.

Zeitungsbericht über die Schändung im Jahr 1990
Zeitungsbericht über die Schändung im Jahr 1990

Der ehemalige Kulturdezernent der Stadt Oldenburg, Dr. Ekkehard Seeber, schreibt später im Rahmen der Dokumentation der Verleihung der Ehrenbürgerwürde für den ehemaligen Landesrabbiner Leo Trepp über den Vorfall von 1990 wie folgt:

Der jüdische Friedhof und die Kapelle in Osternburg haben die Vernichtung überstanden. Das Grab des Landesrabbiners Philipp de Haas, des Vorgängers und Schwiegervaters von Leo Trepp, habe ich mit Miriam und Leo Trepp im Sommer 1990 besuchen können, kurz nachdem im Frühjahr 1990 über 50 Gräber zerstört worden waren. Die Grabsteine waren bei unserem Besuch wieder aufgerichtet, die Grabschänder waren zwei Jugendliche ohne ideologische Zerstörungswut der vergangenen Pogrome. Aber die Tat läßt hellhörig werden. (Stadt Oldenburg, Kulturdezernat, 1991)

Ein weiterer Vorfall ist in der Publikation von Adolf Diamant (Diamant 2000) verzeichnet. Unter dem Datum vom 28. September 1992 wird für Oldenburg eine weitere Schändung verzeichnet. Als Quelle für diese Daten wird auf eine Meldung des Bundesministeriums des Innern verwiesen. Weitere Hinweise hierzu sind nicht bekannt. Lokale Presseberichte sind nicht ermittelbar.

So fanden am 15. Juni 2000, 26. September 2003 und 11. März 2004 Schändungen statt. Tatverdächtige konnten nicht ermittelt werden. Die Straftaten wurden in den Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität – rechts“ eingestuft. Die Schändung im März 2004, bei der insgesamt 13 Grabstein umgestürzt wurden, könnte auch durch Täter einer okkulten Sekte verursacht worden sein.

In den frühen Morgenstunden des 29. Mai 2010 wurde die Friedhofsmauer mit Graffiti verunstaltet. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde jedoch ohne Ermittlung der Täter eingestellt.

Besondere Beachtung fand eine Schändung, die in der Nacht zum 19. November 2011 stattfand. Insgesamt wurden sechs Grabsteine auf dem Friedhof durch Farbe verunstaltet. Dazu hatten die Täter Beutel mit weißer Farbe von der Dragonerstraße aus über die Mauer hinweg auf einzelne Grabsteine geworfen. Die fünf Tatverdächtigen wurden dabei durch einen zivil im Bereich des Friedhofes vorbeifahrenden Polizisten ertappt und sofort durch Zuruf gehindert, weitere Schändungen vorzunehmen. Nach einer Verfolgung gelang es dem Polizisten, einen Tatverdächtigen zu ergreifen; dieser wehrte sich mit mitgeführtem Pfefferspray gegen seine Verhaftung. Der Polizist wurde hierbei verletzt, der Tatverdächtige konnte sich befreien. Eine sofort eingeleitete Fahndung verlief zunächst erfolglos. Für den vorbildlichen Einsatz wurde der Polizeibeamte durch die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Sara-Ruth Schumann und dem Leiter der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt/Ammerland, Johann Kühme besonders geehrt.

Schändung des jüdischen Friedhofes im Jahr 2011
Schändung des jüdischen Friedhofes im Jahr 2011

Zwei Angeklagte mussten sich dafür vor Gericht verantworten. Ein zum Tatzeitpunkt 22-jähriger Angeklagter wurde am 10. Dezember 2012 rechtskräftig wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, gemeinschaftlicher Beleidigung und gemeinschaftlicher Störung der Totenruhe in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gemeinschädlicher Sachbeschädigung verurteilt. Die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Eine weitere vor dem Jugendschöffengericht angeklagte Person wurde rechtskräftig freigesprochen. Gegen weitere Personen, die an der Schändung beteiligt gewesen sein könnten, hat sich kein hinreichender Tatverdacht ergeben.

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In der Sitzung vom 19. Dezember 2011 verurteilten die im Stadtrat vertretenen politischen Parteien mehrheitlich (bei einer Gegenstimme) die Schändung. Die Schändung des jüdischen Friedhofes „erfüllt den Stadtrat mit Abscheu“ und er fordert u. a., „den Oldenburger Anschlag vollständig und vorbehaltlos aufzuklären, um der Strafjustiz die Möglichkeit zu geben, angemessen zu reagieren“.

In der Nacht vom 23. auf den 24. November 2013 – fast genau zwei Jahre nach der letzten Schändung – wurde der Friedhof erneut geschändet. Dieses Mal wurden acht Grabsteine und die Trauerhalle mit schwarzer Farbe mit Hakenkreuzen besprüht. Darüber hinaus wurde die Trauerhalle mit dem Wort „Jude“ besprüht. Betroffen waren dabei u. a. die Grabstätte der Familie Trommer sowie Grabsteine des Landesrabbiners Mannheimer, Eric Collins und Gräber von Verstorbenen, die erst nach der Neugründung der jüdischen Gemeinde im Jahr 1992 nach Oldenburg kamen. Für den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde zu Oldenburg, Jehuda W. Wältermann, war es eine besonders schmerzliche Pflicht „einer Witwe aus seiner Gemeinde sagen zu müssen, dass auch das Grab ihres Mannes betroffen ist.“

Der Vertreter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen wies anlässlich eines Pressetermins auf dem jüdischen Friedhof darauf hin, dass es „seit 2004 sechs Anschläge auf den jüdischen Friedhof“ gab. Vorwiegend waren es Farbschmierereien; die Kosten für die Beseitigung dieser Schmierereien beliefen sich auf 37.500 EUR.

Im April 2016 erfolgt die Verurteilung der ermittelten vier Tatverdächtigen. Der geständige Hauptangeklagte wurde zu sechs Monaten, ein weiterer Angeklagter zu fünf Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, ein Angeklagter erhielt eine Geldstrafe in Höhe von 3.000 Euro und ein jugendlicher Angeklagter musste sich in einem gesonderten Verfahren vor Gericht verantworten. Zur Begründung der Tat führte der Hauptangeklagte in der Hauptverhandlung aus, dass er „ein Zeichen“ habe setzen wollen. Was genau dieses „Zeichen“ sein sollte, blieb jedoch offen. In zweiter Instanz wurde der Hauptangeklagte im August 2016 deutlich günstiger bestraft. Die Berufungskammer verurteilte den Hauptangeklagten unter Einziehung eines anderen Urteils nunmehr zu einer Gesamtstrafe von 14 Monaten Haft, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der Ausstieg aus der Neonazi-Szene sowie eine günstige Sozialprognose begünstigten diese Strafherabsetzung.

Im Sommer 2014 wurde die Friedhofsmauer erneut beschmiert. Diesmal wurden die Ziffern „88“ aufgesprüht; eine in rechtsextremistischen Kreisen geläufige Abkürzung für „Heil Hitler“. Hier konnten die Täter nicht ermittelt werden.

Im Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus wird diese Mehrfach-Schändung besonders als ein Beispiel für die zunehmende Häufung von Schändungen von jüdischen Friedhöfen erwähnt.

Im Februar 2015 wurde die Außenmauer erneut mit Farbe beschmiert. Diesmal waren es Hakenkreuze die dort aufgesprüht wurden.

Neben dieser Schändung geschehen fast jährlich mehrmal Besprühungen der Außenmauer des Friedhofes mit Graffiti. Sie sind hier in der Aufführung nicht alle gesondert vermerkt.